Mamma mia! Die Signorina in Rot versprüht Erotik. Super Figur. Und erst die Stimme der Kleinen - animativ heiser. Die Art, sich zu bewegen. Ihr Geruch: markant mit einer Nuance Öl. Das Objekt der Begierde: Alfa Romeo Giulia Spider. In den 60ern bekannt und geliebt als „Signorina“.
Welch ein Kontrast zu den prall konturierten jungen Konkurrentinnen auf den Catwalks internationaler Automobil-Ausstellungen. Diese Girlies locken mit den gängigen Idealmaßen und lassen, wenn sie auf Touren kommen, nur ein ödes Schnurren vernehmen. Neue Cabrios sind schnell, ökologisch korrekt abgasgefiltert und schallgedämpft. Natürlich können Sie damit durch die Toskana fahren und dabei Spaß haben. Mit einer Hand am Lenkrad durch Kurven jagen, während die Frisur der Partnerin dank Windschott bei Tempo 130 auf der Autobahn Contenance bewahrt. Aber den Autos fehlt das Mediterran-Heißblütige, das Raffiniert-Komplizierte und Südländisch-Prätentiöse.
Italianità erfährt man nur mit Signorina Giulia, Geburtsjahr 1963. Die jüngere Schwester der legendären Alfa Romeo Giulietta Spider steht für vieles, was wir Menschen nördlich der Alpen an Italien so lieben. Für Charakter und Temperament, das auch mal lautstark wird. Für Bella Figura und den Reiz des Imperfekten. Für anarchisches lautes Ungestüm, aber auch für Sonne und Wonne, schnörkellose Lebensfreude. Zehn solcher Prachtstücke bilden den Fuhrpark des Oldtimerreisen-Veranstalters Nostalgic. Dieser wendet sich an all jene, die zwar ein Faible für nostalgische Fahrterlebnisse, aber keinen eigenen Oldtimer in der Garage haben.
Das erste Rendezvous mit Giulia. Trotz der Einführung durch Walter Laimer und Gert Pichler, die Firmengründer, habe ich feuchte Hände, Unsicherheit, leichtes Herzklopfen. Komme ich klar mit der Kleinen? Hoffentlich mache ich nichts falsch! Den anderen dürfte es ähnlich gehen. Man weiß ja, dass die Beschaffung von Ersatzteilen für solch bejahrte Fahrzeuge eine Sisyphusarbeit ist. Das schüchtert ein wenig ein ...
Also, Zündschlüssel umgedreht und los geht’s! Der Wagen kitzelt die Nerven mit fulminantem Brüllen und macht automatik- und servoverwöhnten Zeitgenossen in engen Kurven und an Steigungen jede Menge Arbeit. Das Getriebe verlangt beim Runterschalten ein flinkes Fußspiel. Kupplung treten, Gang in den Leerlauf, Kupplungspedal loslassen und Vollgas geben, Kupplung treten und Gang einlegen. Diese anfangs diffizile koordinative Herausforderung nennt sich Zwischengas und ist bitter nötig, sonst meldet sich das nicht synchronisierte Getriebe mit schmerzendem Knirschen und Krachen. Das Dreispeichenlenkrad ist viel größer als das moderner Wagen, außerdem dünner und wird noch für Kraftanstrengungen gebraucht. Weil man damit das Gefährt unter Bizepseinsatz über kurvige Landstraßen und enge Serpentinen der Toskana kurbeln muss. Im Zusammenspiel mit einer eigenwilligen Sitzposition und schwergängigen Pedalen macht der Begriff Sportwagen bei den Alfa-Oldies aus Sicht der Generation Golf wirklich Sinn ...
Das satt knatternde Röhren, das der durch enge Rohre gepresste heiße Atem von Giulia über sanfte Hänge und durch enge Dorfstraßen jagt, ist Musik in den Ohren. Genuss versprechend wie das Floppen beim Entkorken einer Flasche Brunello di Montalcino. Oder gemütbesänftigend wie das kaffeeselige Stimmenrauschen auf einer Piazza. Dieser Sound brachte in den 50ern und 60ern das Blut betuchter Gigolos - der Flitzer kostete 1963 mit 13.950 Mark immerhin nur einen Tausender weniger als der günstigste Porsche - mehr in Wallung als die spitzkegeligen Busen von Sophia Loren oder die blonde Anita Ekberg. Und mit Sicherheit war Giulia, für deren flotte Formen ein gewisser Gian Bartista Farina verantwortlich zeichnete, mit schuld daran, dass die eine oder andere Nordeuropäerin, die zu Hause üblicherweise nur von Trevira-Hemden tragenden Opel-Kapitän-Hahern umgarnt wurde, bei manchem Signore schneller weich wurde als Parmesan auf heißer Pasta.
Die Karosseriekreation von „Pinin“ Farina wurde der Öffentlichkeit 1955 auf dem Pariser Autosalon vorgestellt. Damals trug das Kind einen 1,3-Liter-Motor und hörte auf den Namen Giulietta. Die Italiener mussten 18 Monate auf die Auslieferung warten, da zunächst die hohe Nachfrage in den USA befriedigt werden wollte. In sieben Jahren wurden weltweit mehr als 17.000 Giuliettas verkauft. Dann kam Giulia, die mit Fünfganggetriebe und größerem Motor die Kritiker begeisterte. Zitat aus dem Zentralorgan für freie Fahrt „Auto, Motor und Sport“ von 1963: „Man kann die Maschine bis 8.000 U/min ausdrehen und ebenso gut mit 50 km/h im fünften Gang dahinrollen. Selten findet man so viel Elastizität und Drehfreudigkeit in einem Motor vereint.“ Der Autor notiert, dass Giulia den Porsche „in der Leistung übertrifft“ und „man die Motorleistung in jeder Situation optimal ausnutzen kann. Dass dazu viel Schaltarbeit erforderlich ist, versteht sich von selbst: In der Stadt und auf winkligen Landstraßen liegt die rechte Hand ständig am Quirl“.
Nun, das mit den winkligen Landstraßen hat bei uns nicht geklappt ...
Aber Laimer und Pichler, passionierte Alfistas, lotsen uns per Roadbook über die landschaftlich schönsten und fahrerisch spannendsten Strecken der Toskana.
So kurven wir am zweiten Tag „oben ohne“ über die Landstraßen zwischen Siena, Pienza, San Quirico d’Orcia und abschließend auf einer Panoramaroute durch die Crete Senesi, die mit ihrem kargen, sonnentrockenen Graubraun von eigenartiger spröder Schönheit sind. Die Routenführung für unsere Familie aus kurvenfreudigen Giulias und Giuliettas sowie zwei Touring Spider 2600 vermittelt neben dem Landschafts- und Fahrvergnügen auch einige kulturelle Höhepunkte und kulinarische Freuden. Ein Abstecher führt uns durch das Toskana-Klischee. Linker Hand, auf einem Hügel hinter hohen Mauern, das Städtchen Monticchiello, garniert von einem windschiefen Turm.
Rechts davon schlängelt sich eine Straße in vielen Kurven einen sanften Hang hinauf, formvollendet gesäumt von schlanken Zypressen. So schön und perfekt, dass sich niemand wundert, als ein Filmteam auftaucht.
Man dreht den Werbespot für ein neues Cabrio von DaimlerChrysler und bedeutet uns, das Feld zu räumen: „Mir händ die Straß’ g’mietet, die g’hört uns!“ Macht nichts! Rein in unsere Giulia, die am 17. Juli 1962 zugelassen wurde, hinter das schöne Holzlenkrad geklemmt und rauf nach Monticchiello. Ein ruhiges Örtchen in spätsommerlicher Gelassenheit, dessen beide Plätze Piazza San Martino und Piazza della Vittoria nur vom Klickern und Glucksen der Stare widerhallen. Nicht ganz so ruhig geht es in Quirico d’Orcia zu. Dafür ermöglicht es unserem Alfa einen glanzvollen Auftritt: Die Via Dante Alighieri führt in einem weiten Bogen zur alten Wehrmauer aus dem 12. Jahrhundert. An der Piazza della Liberia findet sich der Besucher in einem ideal typischen Dolce-Vita-Szenario. Hier die Horti Leonini, eine klassische italienische Parkanlage aus dem 16. Jahrhundert. Dort die „Bar Centrale“ für einen schnellen Caffe. Um die Ecke, in der Via Dante Alighieri, lockt die „Osteria Vineria II Tinaio“ mit Exquisitem wie Cinghiale alla Cacciatore (Wildschwein geschmort), Coniglio all’etrusca (Kaninchen) oder Pici-Nudeln. Das alles zu durchaus moderaten Preisen übrigens.
Wer eine Mokkakanne, eine Mausefalle oder eine Pastakelle benötigt, sollte noch einen Blick in den bis unter die Decke voll gestopften Haushaltswarenladen Tutto per la Casa werfen.
So schnuckelig und überschaubar die zweisitzige Giulia ist, so frech und groß-mäulig tönt sie durch die engen Gassen lies Toskana-Städtchens. Beim nötigen Zwischengas und bei 1.500 bis 1.800 U/min ist der Klang am schönsten und lässt manchen grauhaarigen Signore den Kopf herumreißen. „Diesen Klang kenn’ ich doch“ steht ins Gesicht geschrieben, über das ein verklärtes Grinsen huscht. Im Garten des Klosters Santa Anna in Campena hat das Team von Nostalgic ein Picknick für die Teilzeit-Alfistas zubereitet. Die Räume hinter den wuchtigen Ziegelfassaden des Klosters haben es zu einiger Berühmtheit gebracht. Nicht nur wegen der 500 Jahre alten Fresken im Refektorium, dessen Akustik durch ein vielfach gebrochenes Echo ausreichend Grund für das mönchische Schweigegebot ist. Toskanisches Scherenschnittspektakel. Anfangs pausbäckig mit langen Hügelreihen und properen Weinbergen, die im weichen Licht des Spätnachmittags changieren. Später dann pockennarbig mit einsamen Zypressen, die aus dem lehmig-grauen und zu Riesenschollen aufgeworfenen Boden der Crete Senesi emporragen wie Akupunkturnadeln aus der Haut eines Elefanten.
Am Horizont reckt sich der Campanile von Siena in den Himmel. Eine schlanke Rauchfahne züngelt am Himmel und der Dorf-Capo von Asciano am Rotwein. Der jagt uns zwei Gläser später mit schwerer Zunge und der geballten Autorität seines Amtes mit Verve aus dem Parkverbot neben der Bar. Auf der Rückfahrt verlieren wir die Orientierung und kurven so abends durch die Monti del Chianti und jene Orte, die uns später auf der Weinkarte des Restaurants „La Leggenda dei Frati“ wieder begegnen sollten. Das Restaurant in einem 1.000 Jahre alten Kloster serviert eine sehr kreativ interpretierte toskanische Küche. Tunfisch im Speckmantel, Leberterrine mit süßen Feigen, Tagliatelle mit marinierten Kaninchenfilets haben mich begeistert. Ratlos bleiben die Geschmacksknospen beim etwas beliebig geratenen Zweierlei vom Val-D’Arno-Hühnchen. Die Aromen fallen sowohl bei der Brust mit schwarzen Oliven wie bei der mit Kapern und Sardellen verfeinerten Keule recht schmalbrüstig aus. Ganz im Gegensatz zum Jogurtmousse auf Erdbeeressenz mit Balsamico-Reduktion! Ein sympathischer Begleiter mit feiner Frucht und dezenten Tanninen ist der 2000er Chianti Classico des Weinguts Ormanni in Poggibonsi, der mit 17 Euro in der unteren Preisliga der umfangreichen Weinkarte spielt. Am folgenden Morgen ist Fahrzeugtausch angesagt. Wir bekommen eine elegante Giulia in der fast schon sündigen Kombination Schwarz und Rot. Und fast mein Baujahr: 1965. Die Enddreißigerin lässt zwischen Lenkrad, Schenkeln und dem langen Schalthebel etwas mehr Platz als ihre rote Schwester.
Sehr früh rollen wir in Siena ein. Noch ist wenig los auf der Piazza del Campo. Ruhe herrscht auch noch im Dom. Dessen einzigartiger Marmorboden mit 56 Bildfeldern ist nur im September und Oktober vom Schutzboden befreit und frei zu bestaunen. Vor dem Dom recken Guides Schirme und Schilder in die Höhe, um ihre Herden beieinander zu halten. Doch keine 200 Meter vom Geschiebe und Gedränge rund um Campo und Dom spielt das normale italienische Stadtleben - genial banal. Alte Männer, schick in Schale und von schweren After-Shave-Wolken umgeben, stehen vor der „Bar Indipenza“ herum. Samstagmorgen-Tratsch unter quietschbuntem Neonschriftzug. Man scherzt zu einem Bicchiere Rotwein oder einem Campari und lädt das Reporterteam kurzerhand zu einem Caffè ein.
Nach zwei Stunden Siena juckt der Gasfuß. Den Wind um die Nase wehen lassen. Ab durch die Colli del Chianto. Im Arbia-Tal hängen dicke, schwere Trauben an den fassonfrisierten Stöcken. Die Winzer von Lecchi sind bei der Lese. Über den Bruchsteinhäusern des Orts hängt das Rattern von Traktoren, wüstes Tschilpen von Spatzen und für kurze Zeit unser röhrendes Blubbern, das auch den Wirt des „Ristorante Malborghetto“ vor die Tür treibt. In der Küche trällert der Koch mit Goaty-Bärtchen ein „O sole ‚mio“ (ist wirklich wahr!), während sich über uns dunkle Wolken zusammenbauschen. „Das gibt endlich Regen“, prophezeit der Wirt. Woher er das wisse, fragen wir, wohl wissend, dass der Aufbau des Verdecks Geduld und Übung verlangt. „Na, das Kaffeepulver in der Maschine ist vor Regen klumpiger!“ Dann also schnell her mit den gemischten Vorspeisen, einem offenen Weißen in einer kleinen Karaffe, einer Portion Pici Strascicati und den köstlichen Ricotta-Ravioli mit einer Soße aus geschmolzenem Pecorino und Birnen. Auf die Secondi Piatti verzichten wir. Ein kluger Entschluss, denn die aufgetischten Portionen sind kaum zu bewältigen.
Nachmittags ein zweiter Abstecher in die Crete Senesi. Über fast unwirklich nackten grauen Hängen, deren reduzierte Kargheit allein durch zypressengesäumte Zufahrten zu Weingütern unterbrochen wird, hängt ein tiefdunkler Himmel. Immer wieder zwängt sich die Sonne durch und sorgt mit Scheinwerfereffekten für dramatische Akzente, die mehr berühren als die perfekten lieblichen Toskana-Szenerien vom Vortag. Ziellos und unbeschwert - längst ist das mit dem Zwischengas in Fleisch und Blut übergegangen - flitzen wir durch die Kurven. Dolce Vita ohne Velocità.
Der letzte Tag beginnt mit einem Blackout. Halb Italien ist ohne Strom. Eine Katastrophe: kein Caffè mit Crema aus der Gaggia. Keine Formel Eins, wo doch Gastarbeiter Schuhmacher in India-napolis Ferrari wiederholt zu Ruhm und Ehre verhelfen soll. Der Tank unseres silbernen 2600er Spider Baujahr 1963 ist voll, so steht trotz stillgelegter Tankstellen der letzten Etappe nichts im Weg. Muskelarbeit ist gefragt, um den langen Cruiser mit einem Leergewicht von fast 1,3 Tonnen souverän durch die kurvige Straße von Castellina nach Poggibonsi zu lenken und in eine von San Gimignanos engen Parklücken zu bugsieren. Heiliger Sankt Servo, hilf mir! Unterdessen fließt wieder etwas Strom durch Italiens Leitungen - und der Stadtrundgang durch San Gimignano kann doch mit einem Cappuccino beginnen. Dass hier noch 13 Türme (von einst über 70) stehen, verdankt der Ort der Tatsache, dass im 15. Jahrhundert Tributzahlungen an Florenz den Stadtsäckel geleert hatten. Da blieb kein Geld für eine Modernisierung, wie sie alle anderen Toskana-Städte vornahmen, aus denen ebenfalls Dutzende hoher Wehrtürme sprossen. Nach der Verbreitung des Schießpulvers boten die exponierten Ziele im Kriegsfall keinen Schutz mehr - Abriss! So zahlt sich die mediävale Pleite San Gimignanos 500Jahre später aus: 2,5 Millionen Besucher schieben sich jedes Jahr durch die Stadt. Sie traben hinter den Reiseleitern her und staunen darüber, dass die Findelkinder von der Stadt neben Kost, Logis, Ausbildung und Mitgift auch den heutzutage verbreiteten „Familiennamen“ Innocenti bekamen. Sind baff, dass die Fassaden der Stadt zu Feiertagen hölzerne Balkone angesteckt bekamen.
Als der Bürgermeister der Stadt das Verdikt erließ, dass kein Turm höher als der „räudige Turm“ über dem Palazzo di Podesta sein dürfe, griffen die Bürger zu einer Finesse. Man baute sich kurzerhand zwei Türme, von denen die Spitze des einen so breit war wie die Basis des zweiten. So standen zwei Teile herum, die theoretisch aufeinander gepasst und so den kommunalen Kerkerturm um das Doppelte überragt hätten. Provokation im Konjunktiv Imperfekt. Über die wahre Größe entscheiden eben nicht nackte Fakten, sondern allein Gefühle. Und so gesehen ist die Toskana immer noch ein Paradies. Und ein Alfa Romeo aus den 60ern schlicht unschlagbar.
Text: Peter Pfänder
Foto: Frank Heuer
07. Juli 2004
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