Romeo fährt Giulia oder Die Alfa-Tierchen sind los: Wer in alten italienischen Sportwagen durch Südtirol fährt, wird zum Dichter
Der 7. Juni 1966 war ein Dienstag. Und im Rhein schwamm ein weißer Wal. Er hatte sich aus der Nordsee flussaufwärts verirrt, sonst war aber alles wie immer an diesem Frühsommertag: Die SPD hatte am Wochenende mal wieder Parteitag gefeiert und Bayern München den DFB-Pokal gewonnen, 4:2 gegen den MSV Duisburg. Traurig nur, dass Hans Arp an diesem Tag starb, der große Dada - Künstler. Über Österreich braute sich obendrein ein heftiges Unwetter zusammen. Und dann wurde noch an diesem 7. Juni 1966, vor fast genau vierzig Jahren also, in Frankfurt eine brandneue Alfa Giulia Spider Veloce angemeldet, knallrot und mit 112 PS.
Heute ist diese Giulia eine Zeitmaschine, die man mieten kann. Zum Beispiel, um darin auf den Südtiroler Gampenpass in 1500 Meter Höhe zu fahren, mit offenem Verdeck und umweht vom wunderbaren Gefühl, dass einem die ganze Welt gehört. Damals, 1966, musste einem zwar nicht gerade die Welt gehören, um sich so einen Sportwagen leisten zu können, es war aber auch nicht für jedermann, was der legendäre Pininfarina konstruiert hatte: sondern die höchste Kunst des Karosseriebaus. Als die Giulia Veloce aus Frankfurt dann ein paar Jahre später einige Kilometer hinter sich hatte und erschwinglicher wurde, kaufte sie ein Italiener, ein Mechaniker von Alfa Romeo. Er fuhr das Cabrio jahrelang und verkaufte es Anfang der Achtziger an einen Stuttgarter Sammler, der es rundumüberholen ließ.
Und weiterverkaufte: An zwei Freunde aus Meran, Gert Pichler und Walter Laimer, die dabei waren, eine Flotte von alten Alfa Romeos zusammenzustellen, um mit ihr und den Gästen, die so etwas buchen wollten, zu verreisen: in die Toskana und an den Lago Maggiore, nach Sizilien und Südtirol. Und zurück in die Zeit, ins Jahr 1966, als diese rasanten Sportwagen noch jung waren. Als die Bundesrepublik noch jung war, gerade mal siebzehn Jahre alt, aber schon wieder den ewigen deutschen Traum von Italien träumte. Der inzwischen weniger von Zitronenblüten und Marmorbildern handelte, sondern von Cabrios von Alfa Romeo und der Sonne über Capri.
Der Veranstalter, bei dem man heute die Zeitmaschine mit offenem Verdeck für die Italienreise buchen kann, nennt sich „Nostalgic", sitzt in München und hat inzwischen dreizehn Alfas in seinem Fuhrpark; rote, hellblaue, graue und schwarze Cabrios; die älteste Giulietta stammt aus dem Jahr 1959. Mit diesen Autos veranstalten Laimer und Pichler vor allem Reisen für Unternehmen, Motivationsreisen für Mitarbeiter, „Incentives" genannt.
Nostalgic hat seit seiner Gründung im April 2003 eine überschwängliche Resonanz in der Presse gehabt, fast alle großen Zeitungen, Wochenblätter und Magazine in Deutschland (und auch in der Schweiz) haben darüber berichtet. Nicht berichtet: gedichtet, über bella italia auf vier Rädern, über Grace Kelly und Sophia Loren - oder eben über Zeitmaschinen. Dabei steckt das kleine Unternehmen Nostalgie eigentlich noch in seiner Investitionsphase. Aber was Wunder: Wenn man morgens um neun, die Bergluft ist noch kühl, der Himmel klar, zum Parkplatz hinuntergeht und dort diese Alfas stehen sieht, rote, hellblaue, graue und schwarze, geht einem einfach das Herz auf. „Ein Wagen mit großem Herz", so heißt es ja auch im Prospekt von 1962 über die Alfa Giulia.
Es krampft sich dann beim nächsten Schaltmanöver wieder zusammen: Die Giulia Veloce, wegen ihres stärkeren, schnelleren Motors so genannt, braucht nämlich Zwischengas. Alle Alfas der Flotte brauchen Zwischengas, sonst kreischt das Getriebe, und das Auto lässt sich nicht herunterschalten. Also bei der Anfahrt auf die erste rote Ampel nach dem Hotelparkplatz in Marling den vierten Gang auskuppeln. Leerlauf. Dann Vollgas, als wäre man der allerletzte Eisdielenangeber. Jetzt Kupplung treten. Und dritten Gang einlegen. Durchatmen. Abbremsen. Auskuppeln, wieder Vollgas im Leerlauf, diesmal ein bisschen selbstbewusster, es muss ja sein! Aber dieses seltsame Gefühl, eine Kostbarkeit aus dem Jahr 1966 im Leerlauf sich selbst zu überlassen und zu allem Überfluss noch voll ins Gaspedal zu treten, versetzt einen norddeutschen Grobmotoriker aber doch in einige Panik. Obendrein, rückt die rote Ampel immer näher. Erst vom dritten in den zweiten Gang geht dann alles wieder wie in der Fahrschule gelernt. Schließlich steht der Wagen an der Ampel, und man kann sich in aller Seelenruhe bewundern lassen.
Das eine ist nämlich, so eine knallrote Praline fahren zu dürfen. Das andere, links und rechts der Straßen eine Spur der Verblüffung zu hinterlassen. Jeder bleibt stehen. Wenn so eine Kolonne vierzig Jahre alter Alfas mit offenem Verdeck an einem vorbeidefiliert, muss man einfach stehen bleiben. Das Auto fühlt sich wahnsinnig gut an, elegant, smart, sportlich. Und man sieht wahnsinnig gut darin aus. Warum blieben denn sonst all diese Menschen stehen? Morgens um halb zehn in Südtirol, vor den Cafes, unter den Platanen der breiten Alleen von Meran: Sie staunen und schlagen die Hände zusammen, als hätten sie eine Erscheinung. Et in arcadia ego - es stimmt also wirklich, und es steckt an: Dieses Auto ist nicht nur elegant und smart, es hat auch die tollsten Dichtungen.
„Wir haben schön parkiert", sagt der Hoteldirektor, der auch mitfährt, in einer schwarzen Giulietta, und so muss man wohl reden, wenn man ein Cabrio fährt. Die Kolonne war durch die Apfelplantagen im Etschtal zum Golfplatz gerast, mit offenem Verdeck, die Berge ringsum lagen mittlerweile im Dunst, es war ein Frühlingstag, warm, der Fahrtwind aber noch etwas kühl. Doch mit Schal und Sonnenbrille hinter dem Steuer zu sitzen, das vollendet die Form überhaupt erst. Wir gierten nach Kurven, dieses Auto gehört in Kurven, aber die bedeuten eben auch: Schalten, Leerlauf und Zwischengas. Irgendwann fremdelt man aber nicht mehr damit und sucht die Eisdielen, zum Aufheulen und Angeben. Oder zum schönen Parkieren.
Solch ein Auto darf man aber nicht lange herumstehen lassen, vor allem, wenn es nur geborgt ist. Also wieder hinein in die Apfelblüte. Es riecht nur gar nicht nach Apfel oder Blüten, es riecht nach italienischer Großstadt, nach Abgasen und sanftem Verfall, nach Chaos und Unruhe und der höheren Lebensart, die daraus zu erwachsen scheint, kurzum: Es riecht nach alledem, was die Deutschen seit Jahrhunderten schon jenseits der Alpen gesucht und sich herbeigesehnt haben. Natürlich raucht dieser stolze italienische Großstadtgeruch aus dem Auspuff des Vordermanns heraus, schließlich fahren hier ein Dutzend alter Alfas in Kolonne. Aber die Illusion ist perfekt. Die Nase im Fahrtwind, mit flatterndem Schal, so geht es in dieser Zeitmaschine dahin, im Gegenlicht.
Ausgeträumt der Traum, ein Parkplatz in Marling, die Hände vibrieren noch lange nach. Keine Servolenkung, keine Elektronik unterstützen das Steuer, nur der Fahrer hält es stabil. Am Ende ist die Fahrt in einem vierzig Jahre alten Alfa Romeo eine sehr weltliche Angelegenheit, sie fordert alle Aufmerksamkeit, alle Geistesgegenwart. Die Bilder fliegen vorbei: der Kalterer See, Schloß Trauttmansdorf, die Weinberge von Südtirol im Frühling. Am Steuer hat man aber nur Augen für das Auto unter seinen vibrierenden Händen. Und Ohren für den Motor. Er singt vom Süden.
Text & Foto: Tobias Rüther
28. Mai 2006
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