Im klassischen Alfa vier Tage durch die betörende Landschaft der Toskana – ein schon sinnliches Vergnügen.
Der Mann betrachtete die Mobilisierung der Massen eher von der praktischen Warte aus, gleichwohl wurde dadurch sein Blick auf Auto-Ästhetik nicht verstellt. Und so ist denn von Henry Ford überliefert, dass er - wo immer ein Alfa seine Wege kreuzte -den Hut vor der Marke zog. Einer Marke, die einst wie keine andere für das Schöne, Leichte, Süffige stand, das Dolce im italienischen Vita. Okay, die Sache mit dem Hut hat sich ziemlich erledigt. Henry Ford lebte nur bis zum 7. April 1947, und die Sache mit dem Hüte ziehen ist spätestens seit den Fünfzigern aus der Mode gekommen.
Ansonsten gibt es so ziemlich das ganze Spektrum gängiger Sympathiekundgebungen, als sich die grazile Autoflotte - bestehend aus der zierlichen Alfa Giulietta 1300, der durchtrainierten Giulia und dem ernsten Alfa Spider Touring - durch die Dörfer und Weinberge nördlich von Siena windet: Kusshände fliegen, Rebscheren werden geschwenkt, Liebeserklärungen in die Luft gehaucht. Und gewunken wird in einer Intensität, als führe der Heilige Vater im Papamobil vorbei. Dabei wären sie fast nicht hier. Als Walter Laimer und Gert Pichler zur Realisierung ihrer Geschäftsidee von stilvollen Oldtimerreisen vor etwa zwei Jahren das Unternehmen Nostalgic gründeten, war zwar klar, dass das Rad der automobilen Zeit mittels der klassischen Alfa Spider aus den Fünfzigern zurückgedreht werden sollte, aber die Toskana? Gert Pichler -rümpfte da erst mal die Nase. Zu überkandidelt erschien ihm die von Bildungsbürgern niedergewanderte und zugetöpferte Toskana, als dass man dort noch ein Konzept für Individualreisen umsetzen könnte. Tatsächlich ist es schon ein kleines Kunststück, im Dreieck Siena, Florenz, Arezzo noch Ecken auszumachen, die man nicht schon an der Wartezimmerwand beim Zahnarzt angegähnt hätte. Andererseits: Die Toskana im historischen Alfa unter die Räder zu nehmen, das ist wahrscheinlich die sinnlichste Form des Reisens. Und wäre es nicht so abgedroschen, in Bezug zu einem Auto von Erotik zu sprechen - hier könnte man durchaus in Versuchung kommen.
Generell ist der studierte Betriebswirt Gert Pichler ein Zahlenmensch, auf die Toskana lässt er dennoch nichts mehr kommen. Mit drei Viertagesreisen ist das junge Unternehmen in die Premierensaison gestartet - eine in Südtirol, eine am Lago Maggiore und eben jene in der Toskana. Diese ist der Renner, und das gleichermaßen bei den Privattouren als auch dem, was den Hauptteil des Nostalgic-Geschäftes ausmacht - so genannte Incentive-Reisen zur Geschäftsanbahnung in edlem Ambiente, zur Belohnung verdienter Mitarbeiter oder zur weiteren Motivationsförderung. Die Voraussetzungen sind exzellent. Zehn Alfa Spider schickt Nostalgie an den Start: Acht Giulia und deren kleinere Schwester Giulietta sowie zwei 2600 Touring, mit denen Alfa Anfang der 60er auf Beach Boy-Fang in die Staaten ging. Alle Autos haben H-Kennzeichen, sind im Originalzustand und sehr gepflegt. Aber auch hier gilt: Immer schön locker bleiben. Ohne museale Verkrampftheit nähern sich die Gäste den Autos. Es herrscht kein Corso-Fahrzwang, und es gibt keine notorisch besorgten Blicke, wenn sich mal ein Staubkörnchen aufs polierte Blechkleid senkt. Einfach deshalb, weil die Südtiroler zwar deutsch sprechen, ihnen aber die Scheckheftpflegermentalität völlig abgeht.
Die braucht’s auch nicht. Mit beinahe rührender Fürsorge begegnen die Fahrer den grazilen Geschöpfen. Und die gleichsam natürliche Ehrfurcht der Italiener bewahrt die Autos vor Übergriffen jedweder Art - von ständigen Tätscheleien wurstdicker Fanfinger einmal abgesehen. Auch Ermahnungen zu gemäßigter Fahrweise erübrigen sich. Keiner käme auf die Idee, die Autos an ihre Leistungsgrenze zu treiben. Der Reiz der Touren liegt im völlig entspannten Dahingleiten durch Zypressenhaine und durch die legendären Weinberge des Chianti. Nicht einmal das Mille-Miglia-Teilstück zwischen Ville di Corsano und Monteroni reizt, es den Rallye-Helden vergangener Zeiten gleichzutun.
Wiewohl gerade die sportliche Giulia mit ihrem l6OOer-Motor und ihren auch nach 40 Jahren noch überraschend vitalen Fahrleistungen eine sportlichere Gangart gut verkraften könnte. Was sich vom Schlachtschiff der Flotte, dem 2600 Touring, nicht wirklich behaupten lässt. Eindeutig ist der Touring nicht für das Auf und Ab, das Links und Rechts der toskanischen Kurvenlandschaft geschaffen. Und bereitet gerade deshalb ganz besonderes Vergnügen - als kurve man mit einem Passagierdampfer einen Wildwasserkanal hinab. Mächtig schiebt der Touring über die Vorderachse, sein Geradeauslauf ist mäßig, und am Abend sorgt die geleistete Arbeit für die vermutlich lustvollste Art, Muskelschmerz zu verspüren. Aber wie gesagt. Nicht die Hatz von A nach B ist das Ziel, sondern der Weg. Die Entspanntheit des Reisens dokumentiert sich in der Haltbarkeit der eingesetzten Autos. Größere Schäden blieben bislang aus, und taucht doch mal ein technisches Wehwehchen auf, steht ja noch Amerigo Bigliazzi parat. Dieser betreibt in Siena eine Alfa-Werk statt und betreut die Nostalgic-Flotte technisch.
Bigliazzi war einst Alfa-Werkspilot, kam in der Saison 1976/77 zu Europameisterehren im Tourenwagenchampionat und entspricht ganz den idealtypischen Vorstellungen eines Alfa- Schraubers. Klein, drahtig und einen verwegenen Schlag im Blick. Wenn er dann von seiner Beziehung zu Alfa spricht, klopft er sich ans Herz. Derart kommentiert er ungewollt die Veranstaltung, die Nostalgic Reisen anbietet. So liebevoll der Umgang mit den Autos, so exakt sind die Roadbooks ausgearbeitet, und so erstklassig sind die angesteuerten kulinarischen Ziele. Auch hier gilt einmal mehr: alles sehr individuell und edel, aber nicht überkandidelt.
So droht nur ein größeres Restrisiko - das Wetter. Das könnte, wie Laimer weiß, eine Bewährungsprobe werden. Wenn Nieselregen die Toskana verschleiert, wartet die Herausforderung, eine zusammengewürfelte Reisegruppe bei Laune zu halten, deren Teilnehmer nicht tun können, wofür sie immerhin 2000 Euro pro Kopf bezahlen: Cabrio fahren im Stil der Fünfziger. Henry Ford würde vermutlich einfach den Hut wieder aufsetzen.
Text: Frank Volk
Foto: Beate Jeske
März 2004
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