Palmen, Zypressen, Berge. Dazu mondäne Belle-Epoque-Paläste und verträumte Inseln. Nicht wenigen gilt der Lago Maggiore als Garten irdischer Glückseligkeit. Der lässt sich im Cockpit eines karminroten Alfa Romeo Giulietta Spider besonders stilvoll erfahren. Wie Sie in unserer Reisereportage lesen können.
Dio Mio! Das ist Liebe auf den ersten Blick: Versinkt man erst im tiefliegenden Ledersitz des feurig-roten, chromblitzenden Cabrios, der das Licht der Straße vor über 50 Jahren erblickte, lässt man die digitale Realität des dritten Jahrtausends weit hinter sich. Ein Dreh am Schlüssel und mit fulminantem Fauchen startet der 80 PS starke Motor des Alfatiers. Giulietta, ihrer wohlgeformten Kurven überaus bewusst, rollt elegant und schön aus der Hotelauffahrt und entschwindet mit uns unter dezentem Röhren in die Strada Nazionale del Sempione. Hinein in eine Kulisse, wie sie Cinecittàs Traumfabrik der Wirtschaftswunderzeit nicht besser hätte erfinden können – und ein guter Grund für die Macher des Münchner Anbieters Nostalgic Reisen, hier immer wieder mit ihren Alfa-Oldtimern Reisen aufzulegen.
„La Signorina“, wie ihr genialer Schöpfer Battista Pininfarina die Giulietta Spider 1300 liebevoll nannte, versinnbildlicht wie kein anderes italienisches Kulturgut La Dolce Vita, das süße Leben der späten 1950er Jahre. Vor dem geistigen Auge tauchen sofort die junge Audrey Hepburn oder die rassige Sophia Loren hinter dem eleganten Zwei-Speichen-Lenkrad auf, das Haar in seidiges Tuch gehüllt. Entlang malerischer Riviera-Dörfer ins Blaue hineinrollend, bis vor die nächstbeste Cafébar, auf ein Date mit einem kühlen, frischen Aperitivo. Cruisen wie die Diva! Die Giuletta ist in ihrem Element. Mit dem „Fräulein“, selbst eine Diva, ist das kein Problem, strahlt sie in den Augen von italopholen „Petrol Heads“ doch ebenso viel Erotik aus wie einst die Loren. Und so gleiten wir beschwingt auf unserer ersten Ausfahrt dahin. Das Haar vom Fahrtwind umschmeichelt, den Ellbogen entspannt aufgelegt. Das Grinsen ins Gesicht gemeißelt.
Rechts schimmert der See in changierenden Blau-Facetten. Links erheben sich üppig bewachsene Bergflanken. Der Morgen duftet mediterran nach Zitrus und See. Wir rollen vorbei an lang gestreckten Palmen, schlanken Zypressen, Platanen und eingewachsenen Einfahrten nobler Domizile. Unter blauem Himmel genießen wir den fast schon kitschig-schönen Rundumblick bis hinüber ins Tessin, wo schneebedeckte Gipfel den Horizont begrenzen.Kurz schwebt der Duft von Zeder und Jasmin über dem rot lackierten Armaturenbrett, bevor er sich mit Giuliettas Parfum – dem Geruch von heißem Öl - vermischt. Weiter schlängeln wir in ausgezirkelten Kurven das Westufer des Lago Maggiore entlang und entdecken Dörfer wie Ghiffa oder Cánnero Riviera, dessen naturgeformte Strandbucht auf einem Schwemmlandkegel eine der schönsten des Lago Maggiore darstellt.
Denken beim Lenken: Zwischengas ist gefragt. Wenig später lotst uns das Roadbook ins schmale Val Cannobina, wo sich eine schmale Straße in verwegenen Kurven ihren Weg hinauf in die grüne Schlucht bahnt. Eine erste sportliche Herausforderung an die Fahrkünste, denn Giuliettas unsynchronisiertes Getriebe verlangt eine gewisse Raffinesse beim Herunterschalten in den nächst tieferen Gang. Kupplung treten, Gang rausnehmen, Kupplungspedal loslassen und Vollgas geben, noch mal Kupplung treten, tieferen Gang einlegen – und fertig! Der feurige Unterton, den Signorina beim sogenannten Zwischengas durch das Auspuffrohr bläst, ist im Nachhall des engen Tals Musik in unseren Ohren. Am Ende dieser Bergetappe liegt das urige Bergdorf Cursolo, das mit vielen noch original erhaltenen Hausdächern aus schweren Schieferplatten, wie ein Adlerhorst hoch über dem Tal thront.
Nach einer Abfahrt durch die Märklin-Landschaft des schweizerischen Centovalli, das mit waghalsigen Eisenbahnviadukten und in Steilwänden verbauten Straßentrassen beeindruckt, finden wir uns zu Mittag auf der feinen Seeterrasse des Restaurants „Pavillion al Lago“ wieder. Über die mit Pinienkernen, getrockneten Tomaten und Oliven gefüllte Seelachsforelle hinweg blicken wir weit auf den Lago hinaus. Zufriedener kann man ein Mittagessen nicht beginnen.Ascona sieht aus wie Italien, riecht wie Italien, verhält sich wie Italien. Dennoch befinden wir uns im sicheren Hafen der Schweizer Eidgenossenschaft. Ascona erlangte durch Literaten und Künstler wie Hermann Hesse, Paul Klee oder C.G. Jung, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts dorthin strömten, weltweite Bekanntheit. Fortan sammelten sich in der Kommune Monte Verità Aussteiger und Weltverbesserer. Sie lebten neue deutsche Alternativkultur in einer wohl einzigartigen Mischung aus freier Liebe, Vegetarismus, Freikörperkultur, Anarchie und kommunistischen Gedankengut.
Mittlerweile ist Ascona vom Hippie-Olymp zur Spielwiese der Reichen abgeflacht. An den Flanken des Bergs der Wahrheit stapeln sich inzwischen reichlich schuhkartonförmige Architektenvillen mit verglasten Panoramaterrassen. Tolle Aussicht, weniger hübsche Ansicht. Auch der Dorf-Cop weiß nicht so recht mit Giuliettas laszivem Charme umzugehen. „Hier können Sie auf keinen Fall stehen bleiben, da unten gibt es einen Parkplatz mit Kassenautomaten,“ pfeift uns der Herr, immerhin lächelnd, von unserem Versuch in die Uferpromenade einzufahren, zurück.
Zurück in die Vergangenheit! Es geht nach Stresa. Wir steuern unsere Giuletta am kommenden Tag durch Stresa, lassen den Blick zwischen den vorgelagerten Borromäischen Inseln, prachtvollen Jugendstilpalästen und eleganten Parkanlagen schweifen. Besonders ins Auge sticht die kurvenbetonte Fassade der 1832 erbauten Villa Aminta, hinter deren Mauern sich ein luxuriöses Hotel verbirgt. Dessen verblüffende Detailverliebtheit lässt den Glanz vergangener Belle-Epoque-Zeiten noch einmal aufblühen. Der historische Badeort Stresa ist dank des leicht morbiden Charmes wie geschaffen für das langsam zelebrierte Schaulaufen von „La Signorina“. Wie ein Modell auf dem Catwalk erntet sie bewundernde Blicke und Kommentare am Straßenrand. Carmino Pisano, Kellner im quirligen „Caffè Nazionale“, winkt uns trotz autofreier Piazza begeistert heran. „Bellissima! Eine Giulietta! Ihr könnt sie vor den Tischen parken. Keine Problemo! Was wollt ihr trinken? Caffè Marocchino vielleicht?“ Der Stopp tut gut. Auch die Geste, die folgt, als wir „il Conto“ anfordern. Da heißt es wie aus der Pistole geschossen: „Nooo – per favore! Caffè geht aufs Haus! Aber bitte schickt mir unbedingt ein Foto von der Signorina und mir!“, meint Carmino und steckt uns seine Mailadresse zu.
Echter Kraftakt. Wie hilfreich eine Servolenkung sein kann, merkt man in der Regel erst, wenn sie nicht vorhanden ist. Wie bei Giulietta. Und so ist auf den einsamen Serpentinen hinauf zum knapp 1.500 Meter hohen Gipfel des Monte Mottarone Muskelarbeit am Lenkrad gefragt. Das Zwischenschalten ist längst in Fleisch und Blut übergegangen. Hinunter rollen wir von italienischer Sonne beschwingt und durch entspannte Stimmung entschleunigt an den verträumten Lago d’Orta. Mitten im See: die geheimnisvolle Klosterinsel Isola San Giulio, auf die wir mit dem Boot übersetzen. Hinter den Steinmauern der Abbazia Mater Ecclesiae sollen 75 Nonnen in Andacht leben, nur zwei Zivilpersonen sind mit ganzjährigem Wohnsitz auf der Insel gemeldet. Maria Antonietta Villa ist eine davon. Wir treffen sie im Gemischtwarenladen an der Rundgasse der Insel, dem meditativen „Weg der Stille“. Sucht man noch schnell ein Inselsouvenir, ist man bei Antonietta goldrichtig. Seit 40 Jahren betreibt sie den kleinen Laden, in dem sich vorher eine kleine Trattoria befand und nun von Hand bedruckteLeinentücher, Bootsmodelle, Porzellanteller und Meditationssprüche für einen Euro über die Theke gehen. „Langsam wird es einsam hier,“ lacht die 72-jährige Signora, die auf der Insel geboren wurde, „deshalb kommt doch bald wieder vorbei!“ Dann geht es zurück nach Stresa, die Tage als Teilzeit-Alfisti sind gezählt. Die Zeitreise ist aber noch nicht ganz vorbei. Im Wasser spiegelt sich die mit dem Boot leicht erreichbare, einst mondäne Isola Bella. Weiße Pfauen lustwandeln dort durch frühbarocke italienische Terrassengärten. Obelisken, Nymphen und Wassergottheiten starren von Postamenten und aus Nischen über eine einzigartig zelebrierte exotische Pflanzenwelt hinaus auf die Weite des Lago Maggiore. Da könnte man sich glatt schon wieder auf den ersten Blick verlieben.