"Zeit Maschine"

Ein Oldtimer kann vieles sein: Geldanlage, Frauenfänger oder Groschengrab. Doch vor allem ist er ein Lebensgefühl. Und das kann man erleben, ohne es gleich zu kaufen. Mieten geht auch.

Das Geräusch ist fürchterlich: eine Mischung aus Sand im Getriebe und Metall auf Asphalt - und das bei fast jedem Schaltvorgang. Automatisch rutsche ich etwas tiefer in den Fahrersitz, so als würde dieses fürchterliche Geräusch schwer auf meine Schultern drücken. Und ein bisschen ist es ja auch so: Es tut mir leid, furchtbar leid. Zwischengas ist absolut notwendig, wenn man vom dritten in den zweiten Gang runterschaltet. Kupplung treten. Auskuppeln. Vollgas geben. Kupplung treten. Gang einlegen. Und das Ganze bitte möglichst schnell. Doch wer bei der Bundeswehr seinerzeit nicht Lkw gefahren ist, hat damit seine liebe Mühe.

Zum Glück bin ich nicht der Besitzer dieses wunderschönen Alfa Romeo Giulia Spider von 1962, sondern nur der Fahrer. Ein Wochenende rauschen wir mit Miet-Oldtimern durch die Toskana - alles Alfa-Romeo-Cabrios aus den 50er- und 60er-Jahren. Der Weg ist das Ziel, es geht um Erleben und Erfahren. Eine Tour in die automobile Vergangenheit, in der eh alles besser war. Zumindest der Benzinpreis. Der lag damals bei etwa 30 Cent pro Liter. Erderwärmung und Feinstaub waren noch die Probleme von Science-Fiction-Autoren, als die ersten Deutschen mit ihren VW-Käfern über die Alpen krochen und auf dem Rückweg „la dolce vita" mit nach Hause brachten: Pasta und Alfa. Gefühlt schien fortan immer die Sonne.

So wie an diesem Freitagmorgen, 60 Kilometer südwestlich von Florenz. Ein gemütliches Blubbern lockt die Besucher des kleinen Landhauses auf den vorgelagerten Parkplatz. Vier Zylinder, Doppelvergaser, 1000 Umdrehungen im Leerlauf, und das alles 20-mal. Im Hof laufen sich Alfas warm - dachlose Zeitmaschinen mit obenliegender Nockenwelle. Die Gäste haben jeweils 2000 Euro für dieses Wochenende bezahlt. Dafür stehen ihnen die schönsten Modelle zur Verfugung, die das Alfa-Werk in Mailand je verlassen haben. Die Flotte umfasst zwei 1300er, neun 1600er, drei 1600er-Veloce, zwei 2600er-Touring und vier Duettos — alles Spider.

Versammelt haben sich Menschen, die gern einen Oldtimer hätten, aber keine Zeit haben, sich um das Gefährt zu kümmern. Und Frauen, die ihren Männern hier ein außergewöhnliches Geschenk präsentieren, und Männer, die sich mal selbst beschenken. Gebucht wurde über den Veranstalter Nostalgic. Seit 2003 haben sich die Münchner einen Fuhrpark von 20 Alfa Romeo Spider aufgebaut und vermieten diese für organisierte Touren durch den Süden Europas: Toskana, Lago Maggiore, Sizilien, Dolomiten oder Côte d'Azur. Wer mag, kann diese Touren voll organisiert erleben. Wer die Landschaft lieber allein erkundet, kann sich von der Gruppe lösen.

Charmant an diesen Autos ist, dass sie nicht bis zur Seelenlosigkeit restauriert wurden. Sie alle zeigen eine gesunde Patina. Und: Sollte eine der betagten Damen ausfallen, steht immer ein Ersatzwagen bereit. In den kommenden vier Tagen liegen 427 Kilometer vor den Gästen. Treffpunkt ist immer dasselbe Landhaus. Nach dem Frühstück beginnt die Tagestour. Jeder darf sich einen Wagen aussuchen. Zum Mittag wird getauscht. Die erste Begegnung mit der Giulia ist ein erhebendes Gefühl. Es ist wie ein Date mit einer schönen Frau. Denn das Auto hat perfekte Proportionen, Die Form ist fließend. Mit etwas mehr Blech an den richtigen Stellen. Olfaktorisch eine Komposition aus Benzin und Leder. Sehr edel.

Die Königin unter den italienischen Fräuleinwundern ist die Giulia 1600 Veloce. Veloce steht für schnell. Das war sie damals, und das ist sie noch heute. Nur 1091 Stück wurden von diesem Sportwagen gebaut, der sich damals mit Porsche 912 und Mercedes 190 SL messen konnte und nicht selten besser abschnitt. Auch preislich wilderte der Wagen im gleichen Segment. Für ein Fünfganggetriebe und ein drehfreudiges Aggregat mit 112 PS musste der Sportwagenenthusiast im Jahr 1962 etwa 14.000 Mark zahlen. Dafür bekam man schon eine 2-Zimmer- Wohnung in Rom - aber wer will schon eine Immobilie, wenn man mit so etwas Schönem mobil sein kann? Heute kostet die Begleiterin um die 35.000 Euro, alles in allem ein durchaus leichtes Mädchen.

Die 885 Kilo lassen sich mühelos beschleunigen. Nur das Abbremsen mit den vier Trommelbremsen ist eine echte Herausforderung. Hinzu kommen das ständige Zwischengas beim Herunterschalten und eine Lenkung, die erheblich Spiel nach links und rechts hat. Es ist: einfach wunderbar. Sicherheitsgurte und Kopfstützen sucht man vergebens. Sicherheitsmängel sind in diesem Auto ein Zeichen von Originalität. Die technischen Unzulänglichkeiten machen in einer nach Perfektion strebenden Automobilwelt das Fahren zu einem ursprünglichen Erlebnis. Der Pilot ist wieder Herr und nicht Gast in seinem eigenen Auto. Die Strecke für die Tour ist in einem Roadbook vorgegeben. Es trägt den Titel: „Traumstraßen der Toskana". Und das ist noch nicht mal eine Übertreibung. Traumhafter geht es kaum.

Wir gleiten durch Zypressenalleen, vorbei an Weinreben und Olivenbäumen, immer den Wind in den Haaren. Als Etappenziele stehen heute Siena und Volterra auf dem Plan. Doch diese Städte sind uns eher unwichtig. Die Landschaft ist uns nur schmückendes Beiwerk einer emotionalen Vierrad-Erfahrung. Und so schlängelt sich die Kolonne auf wunderschön gezogenen Kurven durch eine Gegend, die schon Goethe begeisterte. Über Italien schrieb er, dass „hier das Große war, ist und immer sein wird". Wobei gerade das Kleine diese Gegend groß macht. Dörfer, an denen die Zeit offenbar spurlos vorübergezogen ist. Nirgendwo passt ein Alfa Romeo Spider besser hin.

Abends, nach vielen Kilometern, wenn es zur gemeinsamen Cena geht, sind wir fast ein wenig traurig, dass ein Tag nur dreizehn Stunden Licht spendet. Denn mit dem Alfa ist es wie mit einem guten Essen: Am besten genießt man es dort, wo es herkommt. Sonst verliert es seinen einzigartigen Geschmack.

Und dazu gehört in unserem Fall auch das lästige Zwischengas.

Text: Tim Gutke
Foto: Lucas Verbeke

Juli 2008

"Alfatour"

TOSKANA: Was kommt dem sanften Schwung dieser Landschaft gleich? Höchstens noch die Fahrt im zeitlosen Alfa-Cabrio. Wir probierten beides.

Die Kreativität von Werbeagenturen wird oft überschätzt. Sollen sie etwa die freizeitorientierte Motorisierung mit Sportwagen, Cabrios oder Bikes bewerben, fallen ihnen die immer gleichen Sehnsuchtsmotive ein: der Highway No. 1 an Kaliforniens Küste, einsame, kurvige Bergstraßen in der Morgendämmerung oder von sommerlicher Abendsonne beschienene, in weiten Bögen an einem romantischen See verlaufende, leere Landstraßen. Oldtimer-Magazine nutzen dieselbe Strategie, um ihre Leser süchtig und das Nischengeschäft in Gang zu halten: wunderbare Fotos vom Maserati am Gardasee oder vom historischen Peugeot vor einem Lavendelfeld in der Provence lassen den Wunsch beständig weiterglühen.

Die Praxis setzt vor solche Exkursionen freilich einige Geduldsproben. Außer dem geeigneten Gefährt kommt nicht gerade häufig eine Gelegenheit, da eine schöne Strecke einsam ist und die Sonne untergeht, wie es die Werber wollen. Ein Oldtimer macht die Sache nicht einfacher: Zunächst muss er beschafft, in Form gebracht und gehalten werden. Und dann ist die Freude darüber verhalten, im spärlich gefederten Chassis den modernen Straßenverkehr dorthin zu bewältigen, wo die Traumstraße beginnt. Oft bleibt man da lieber daheim und bewundert seinen Liebling in der Garage.

Mit diesem Umstand vor Augen und Gespür für eine Marktlücke haben sich Walter Laimer und Gert Pichler, zwei einander schon seit Schulzeiten bekannte Südtiroler aus Meran, 2002 entschlossen, eine moderne Mobilitätsdienstleistung anzubieten, die nur einen einzigen Zweck verfolgt: den Genuss. Aber nicht nur die Freude am Fahren in Postkartenlandschaften, sondern auch die Delikatesse exquisiter Hotels und Restaurants. Nostalgic-Reisen promotet nicht die Produktion von Testosteron, sondern das genüssliche Cruisen mit alten Alfas aus den 50er- und 60er-Jahren.

Zwanzig solcher Oldies gehören heute zur wachsenden Flotte von Nostalgic. Sie hören auf so klangvolle Namen wie Giulietta Spider, Giulia Spider Veloce und 2600 Spider. Kunstwerke aus dem Euvre der legendären Designer Gianbattista und Sergio Pininfarina, deren gekonnte Linienführung und schlichte Schönheit Passanten bis heute in Verzückung versetzt: Meist winken sie mit verklärtem Lächeln, wenn man mit typisch bollerndem Alfa-Sound durch die engen Gassen ihres Dorfes fährt und das Echo die Luft füllt.
„Ja, Alfa-Fans sind wir beide", braucht Walter Laimer, der studierte Jurist, nicht unbedingt betonen. „Aber es wäre falsch zu sagen, dass wir unser Hobby zum Beruf gemacht haben. Dazu lebt unser Unternehmen viel zu sehr von einer anspruchsvollen organisatorischen Leistung, die vor allem systematisches Arbeiten erfordert."

Eine dreitägige Toskana-Tour unter dem nicht unbedingt originellen Titel „Dolce vita" beweist es: Da braucht man nur seine Ankunftszeit am Flughafen oder Bahnhof von Florenz ankündigen, Nostalgic kümmert sich um den Transfer ins romantische Vier-Sterne-Hotel/Weingut „II Borgo di Vèscine". Das liegt auf einer 600 Meter hohen Hügelkette, mit atemberaubender Aussicht über das herrlichste Chianti, ganz nahe dem malerischen Radda, ziemlich genau auf halber Strecke zwischen Florenz und Siena. Auf dem Parkplatz - und wie vieles hier über den Fundamenten einer Etruskersiedlung - erwartet die Wochenend-Alfisti bereits eine lange Reihe gepflegter, irgendwie ungeduldig wirkender Spider.

Tatsächlich startet noch am selben Nachmittag, nach Aufklärung über technische Besonderheiten der Oldtimer, ein erster kurzer (50 km) Ausritt. Schon hier erfüllt die ausgewählte Wegführung verstiegenste Toskana-Klischees. Die freie Sicht aus den offenen Spidern erlaubt, Weinberge und Olivenhaine, sanfte, zypressenbestandene Hügel und verschlafene Dörfer wie Villa, Rietine und Lecchi „aufzusaugen". Wir bewegen uns auf Landstraßen zweiter und dritter Ordnung, die auf einer modernen Karte kaum auszumachen sind. Sie heißen SS für „strada statale" oder SR für „strada regionale" und sind die Wirtschaftswege der Bevölkerung. Ohne das detaillierte Nostalgic-Roadbook würde man sich hier heillos verfahren. So aber darf die Szenerie, im zweiten bis vierten Gang bei gemächlichen 40 bis 90 Stundenkilometern, sorglos erfahren werden.

Und auch, dass die Technik in den letzten 50 Jahren erhebliche Fortschritte gemacht hat: Beim Schalten, Lenken und Bremsen sind das Gefühl und die Kraft gefragt, die einst engagierte Automobilisten auszeichnete. Im Gegenzug gibt es das ungefilterte, direkte Fahrerlebnis, bei dem die Lenkung schon mal etwas zerrt und der zweite Gang mit einem wohldosierten Stoß Zwischengas einzulegen ist.

Unbesorgten Chiantigenuss erlaubt hernach der Bustransfer zum Abendessen in der Bottega di Volpaia, die sich neben typischer lokaler Küche des Rufes rühmt, zu Richard Geres Lieblingslokalen zu gehören. Vor allem wegen der Tagliatelle mit Trüffelsauce würden wir uns anschließen. Am nächsten Tag drehen wir eine große Schleife über Castellina in Chianti, westlich an Siena vorbei über Quercegrossa, Monteroni d'Arbia, Asciano und Moscadella, insgesamt 180 km. Das Roadbook verführt dazu, die Fahrt nach eigenem Geschmack zu gestalten und zu verweilen, wo es einem am besten gefällt. Nur für die Mittagszeit ist als Fixpunkt bereits „La Moscadella" bei Castelnunzio als Ziel vereinbart, ein historischer Landgasthof mit wunderbarem Panorama.

Nach Tiramisu und Caffe geht es östlich an Siena vorbei durch schöne Dörfer und malerische Chianti-Landschaft zurück zum Basislager Vescine. An diesem Abend sorgt das hauseigene Ristorante für das Menü. Bei Risotto mit Steinpilzen und gegrilltem Entrecôte mit Rosmarinkartoffeln bringt ein Chianti Classico Riserva „Lodolaio" di Vescine Farbe in die von der frischen Luft verwöhnten Gesichter. Cappuccino und frische Früchte beleben dieselben am nächsten Morgen. Der führt mit dem für den Tag gewählten Spider zunächst zu einer Stadtbesichtigung in die Altstadt von Siena, natürlich inklusive der Piazza del Campo, auf der jährlich der berühmte Palio ausgetragen wird. Anschließend cruisen wir hinauf zum „Castello di Monteriggioni". Das im Schloss gelegene Restaurant „II Piccolo Castello" verwöhnt die nostalgische Truppe mit hausgemachter Pasta mit Pilzsauce.

Viel zu früh führt die letzte Etappe dann zu einer Halle nahe Florenz, wo die Nostalgic-Schätze verwahrt und gewartet werden. Und zu der Erkenntnis, dass die Welt vielleicht dann am lebenswertesten ist, wenn die Werbung nicht lügt.

Text: Valentin Kraemer

Juni 2008